Ich hoffe mal ich bin hier richtig. Ich suche Meinungen von Menschen außerhalb meiner Bubble und ihr seit mir als erstes eingefallen.

Kurzer Kontext:

Ich wohne in einem (recht konservativen) Dorf in Sachsen (Region Erzgebirge). Religion ist für viele ein Thema, speziell mein Freundeskreis ist nahezu vollständig in der evangelischen Landeskirche vertreten. Fast alle nehmen das auch sehr ernst, man hilft bei der Kinderbetreuung, bereitet Kurrende (Kinderchor) vor, plant Flohmärkte, etc. Das führt zu einem sehr netten sozialen Miteinander, wobei Religion und Glauben verbindet. Die meisten Familien sind zwischen 30 und 35 Jahren und haben etwa 2-3 Kinder.

Meine Frau und ich sind vor etwa einem Jahr aus der “Stadt” zurückgekommen und fühlen uns wohl hier. Bei den meisten Themen kommen wir auch auf einen grünen Zweig. Ein Thema, das immer wieder hochkocht ist “Gender”. Gemeint ist die ganze Bandbreite von Geschlechteridentitäten, Sprache (“Gendern”), am Rande auch sexuelle Präferenzen (Homosexualität, etc.).

Jetzt treffen wir uns einmal in der Woche und quatschen über schwierige Themen. Das oben genannte ist aktuell dran. Da hauptsächlich Meinungen Pro “klassischer” Geschlechtereinteilung, sowie auch viele Ängste/Befürchtungen vor der Genderthematik vorliegen, wollte ich gern mal hier nachfragen, ob ihr ein paar gegensätzliche Meinungen/Argumente bringen könnt. Wir würden die dann mal durchgehen und vielleicht kann ja die eine oder andere Befürchtung oder Vorurteil widerlegt werden.

Konkrete Fragen (die sind sehr polemisch/übertrieben, dies dient nur dem Zweck der Verdeutlichung der Frage)

  1. Warum muss das Thema “Gender” überhaupt gepusht werden? Gibt es keine größeren Probleme?

  2. Warum wird bei der Sprache angefangen und nicht Zeit/Geld in konkretere Maßnahmen gesteckt um mehr Akzeptanz für Menschen außerhalb des klassischen Spektrums im Alltag zu erreichen?

  3. Warum herrscht so ein riesiges Durcheinander (gefühlt entsteht jede Woche eine neue Geschlechteridentität)?

  4. Warum gibt es zig verschiedene “Sprech-/Schreibweisen” für das korrekte Gendern? Warum wird nicht erstmal ein einheitlicher Standard erarbeitet, der dann allgemein verwendet wird?

  5. Was wird getan um (insbesondere Kinder) vor Verwirrung zu schützen? Damit ist gemeint, dass die Gefahr besteht, dass ein Nicht-Festlegen auf eine Identität einen tieferen Selbstfindungsprozess verhindern könnte (“Mach was du willst, du musst nichts entscheiden, du kannst alles noch nachträglich ändern” -> kein festes “Fundament” für Persönlichkeit)

Ich würde mich sehr über Antworten oder auch Referenzen zu Resourcen etc. freuen. Bitte bleibt freundlich.

0 points
*
  1. Das Thema wird hauptsächlich von Rechten gepusht, die damit Wahlkampf machen. Niemand ist besessener von dem Thema als die GOP/AfD/Union.

  2. Bei der Sprache gehts glaub ich immer noch vor allem um die Sichtbarmachung von Frauen. Dass mit dem Gender-Stern auch alle anderen Identitäten mit eingeschlossen werden, ist ein netter Nebeneffekt. Gegner des Genderns sind ja meist Verfechter des s.g. generischen Maskulinums, aber das fördert halt Ungleichheiten zwischen Mann und Frau (vor allem weil diese Leute dann trotzdem immer von Putzfrau, Sekretärin und Krankenschwester reden, sobald es um “Frauenberufe” geht)

  3. Du hast es schon richtig erfasst: “gefühlt”. Es ist unwichtig, ob man nun zig verschiedene Identitäten aufzählen und zuordnen kann, der Punkt ist doch “du kannst sein wer du willst, lass dir nicht von andern irgendeine Identität aufdrücken, die nicht du bist”.

  4. Weil Sprache sich dynamisch entwickelt und nicht von einem zentralen Gremium festgelegt wird. Aber der Stern scheint sich ja durchzusetzen, zumindest nach meiner Wahrnehmung.

  5. Lieber legt man sich nicht fest, als dass man sich (unwissentlich) falsch festlegt. Ich hab Jahre damit verbracht, so zu tun, als wär ich ein Mann, weil das für mich so festgelegt worden ist, und glaub mir, gesund war das nicht. Und niemand will Kinder davon abhalten, ihre eigene Identität zu finden, man darf es halt nur nicht für sie fremdbestimmen.

permalink
report
reply
0 points

Danke für deine Antworten. Die sind auf jeden Fall hilfreich und helfen mir/uns weiter.

permalink
report
parent
reply
0 points

Wirklich wichtig ist das Thema gar nicht, es ist nur die zur Zeit lauteste Minderheit, die es pusht.

permalink
report
reply
0 points

Wer pusht es denn deiner Meinung nach?

permalink
report
parent
reply
0 points

Woran bemisst du, ob ein Thema wichtig ist?

permalink
report
parent
reply
0 points

5% Hürde? 😂 sobald genug Menschen die Freiheit haben, sich selbst zu finden, sollte das passen

permalink
report
parent
reply
0 points
*

Erstmal: hier, ein Upvote von mir :)

Ich finde es echt super, dass du dir über das Thema so viele Gedanken machst und diese auch so gut formuliert und schön formatiert hier postest. Genau durch sowas kann man seinen Horizont erweitern!

So einen ähnlichen Post (nicht die exakt selbe Thematik) hab ich auch mal auf Reddit (CMV) gemacht. Der wurde sehr kontovers diskutiert, aber am Ende bin ich dadurch viel informierter rausgekommen und habe meine Meinung zu dem Thema stark verändert.
Vielleicht schaffen es die Kommentare hier auch :)


Also, zu deinen Fragen.


  1. Warum muss das Thema “Gender” überhaupt gepusht werden? Gibt es keine größeren Probleme?

Es gibt immer größere Probleme, ja. Aber das ist keine Ausrede, um sich nicht um andere Probleme zu kümmern. Man kann sich ja auch um mehrere Sachen gleichzeitig kümmern, das eine schließt das andere ja nicht aus.

Nur weil ich (als Beispiel) 150 kg wiege und kein Geld habe, bedeutet es deswegen noch lange nicht, dass ich während dem Sparen nicht auch gleichzeitig etwas abnehmen kann.

Die Geschlechter werden, ja, auch in Deutschland, leider immer noch oft sehr unterschiedlich und unterschiedlich gut behandelt. Dass Frauen beispielsweise im Schnitt weniger verdienen und auch andersweitig teils schlechter behandelt werden ist ja wohl jedem bekannt.

Aber auch anders herum haben Männer zum Beispiel eine höhere Suizidrate, weil uns von klein auf eingetrichtert wurde, “stark” sein zu müssen und niemals was Negatives zu äußern.

Mehr Feminismus/ Gleichbehandlung würde jedem gut tun.

Außerdem, gepusht oder aufgezwungen wird hier nichts. Das wird nur oft von populistischen Parteien behauptet, um sich durch Hass auf Randgruppen Wählerstimmen zu holen.


  1. Warum wird bei der Sprache angefangen und nicht Zeit/Geld in konkretere Maßnahmen gesteckt um mehr Akzeptanz für Menschen außerhalb des klassischen Spektrums im Alltag zu erreichen?

Hast du 1984 gelesen? Das wäre, abgesehen von der tollen Story, sehr passend. Nicht wegen der Dystopie oder blöden Vergleiche, nein. Eher wegen der Kernaussage “Wer die Sprache kontrolliert, kontrolliert die Weltsicht.” Da hatte der Autor recht. In dem Fall im Buch wurde die Sprache zweckentfremdet, um eine Diktatur zu erschaffen.

Oder, weiteres Beispiel, Framing. Ein guter Redner, egal, ob Politiker, Pfarrer, wer auch immer, schafft es auch, nur durch die Sprache, die Zuhörerschaft von etwas zu überzeugen und bestimmte Bilder im Kopf zu schaffen.

In dem Fall hier kann man das aber auch im positiven Kontext gebrauchen.
Durch Gendern erzeugt man primär eine Dissonanz zwischen Bezeichnung und Geschlecht. Dadurch macht man sie “genderneutraler”. Das sollte aber mMn nur eine Übergangslösung sein, ich finde das Gendersternchen ehrlich gesagt auch etwas unpraktisch.

Langfristig sollte die Sprache aber inhärent genderneutral sein, außer, es ist für den konkreten Fall notwendig.
Anstatt also “Krankenschwester” (jetzt) oder “Krankenpfleger:in” (mit Gendersternchen) zu sagen, könnte man sie auch “Krankenpflegekraft” bezeichnen.
Und wenn man eine bestimmte Person meint, sagt man “die weibliche Pflegekraft mit den tollen blauen Augen”.

Besonders für Kinder, deren Weltbild sich noch formt, ist bspw. eine genderneutrale Bezeichnung von Jobs ziemlich wichtig, um mehr Gleichheit in den Stellenmarkt zu bekommen. Oder, um eine glücklichere Partnerschaft zu führen, in der jede Person den Part macht, den sie am besten kann, nicht das, was sich laut Rollenbild gehört.


  1. Warum herrscht so ein riesiges Durcheinander (gefühlt entsteht jede Woche eine neue Geschlechteridentität)?

Man muss unbedingt zwischen “Gender” (der Geschlechtsidentität) und dem “Sex” (engl. für biologische Geschlecht) unterscheiden.

Das eine ist wissenschaftlich biologisch nachweisbar, das andere höchstens durch einen Psychologen.

Die Geschlechtsidentität war schon immer divers. Auch schon vor tausenden Jahren gab es Berichte über Trans-, Nonbinär- oder Wasauchimmer-Identitäten. Es es gab nur oft kein Wort dafür, und andere Begleitgründe wie das Christentum/ Mittelalter haben dabei auch nicht gerade geholfen.

Dass sich Leute mit ihrem angeborenen biologischen Geschlecht nicht ganz identifizieren können ist also nichts ungesundes oder unnatürliches. Sowas zu akzeptieren hilft den Betroffenen einfach ihr Leben zu Leben.

Zudem finde ich, dass diese überemotionale Reaktion und Aufmerksamkeit von vielen Leuten und Parteien absolut ungerechtfertigt und überproportional ist. Das Thema ist im Alltag kaum relevant und wenn man dann doch mal eine Person antrifft, die davon betroffen ist, reicht es meistens vollkommen aus, sie zu respektieren und einfach kein Arschloch zu sein.

Egal ob Kopftuchträger, Trans-Person, oder wer auch immer. Sich über solche Strohmänner aufzuregen, ohne dass es irgendetwas mit einem zu tun hat, kostet nur Nerven und Lebenszeit.
Es wird oft von populistischen Parteien gemacht, um sich selbst besser darzustellen und von echten Problemen abzulenken.


  1. Warum gibt es zig verschiedene “Sprech-/Schreibweisen” für das korrekte Gendern? Warum wird nicht erstmal ein einheitlicher Standard erarbeitet, der dann allgemein verwendet wird?

Siehe 2.

Das Gendern ist noch recht neu, und man muss halt verschiedene Möglichkeiten durchprobieren. Manche sind vielleicht Mist, manche dafür super.


  1. Was wird getan um (insbesondere Kinder) vor Verwirrung zu schützen? Damit ist gemeint, dass die Gefahr besteht, dass ein Nicht-Festlegen auf eine Identität einen tieferen Selbstfindungsprozess verhindern könnte (“Mach was du willst, du musst nichts entscheiden, du kannst alles noch nachträglich ändern” -> kein festes “Fundament” für Persönlichkeit)

Wenn man sich selbst sicher ist, wird das einen auch nicht verwirren.
Kinder haben von sich aus erstmals eine genderneutrale Sicht. Die Differenzierung kommt erst später.

Niemand spricht davon, dass die jetzige Ordnung komplett aufgehoben werden muss. Es geht eher darum, Geschlecht und Sexualität zu einem Sekundärmerkmal zu machen, das den Alltag nicht benachteiligen soll.

Mehr Aufklärung führt zu mehr (Selbst-)Akzeptanz und Selbsterkenntnis, nicht zu mehr Verwirrung (wobei die Verwirrung vielleicht ein Anfangssymptom sein kann, das sich wieder löst).

Herauszufinden, dass die eigene Sexualität kein Makel oder “Ich bin kaputt”-sein, sondern etwas ganz normales, was viele andere haben, ist unfassbar befreiend.
Identität ist bei vielen ein Spektrum, oft gibt es kein 100% Mann oder 100% Frau. Und das ist auch okay so.


Keypoints:

  • Nicht unnötig über Randgruppen aufregen
  • Wir erschaffen nichts neues, wir entdecken und akzeptieren nur vorhandenes
  • Gendern kann nervig sein, hat aber seinen Sinn
  • Die Sprache und Gesellschaft wandelt sich, und das ist auch gut so und kann zu mehr Wohlbefinden von Jedem führen
  • Einfach leben und leben lassen
  • Betroffenen zuhören
permalink
report
reply
0 points

Nur mal so, Psychologie ist auch eine Wissenschaft. Das “andere” würde man also ebenso wissenschaftlich nachweisen.

permalink
report
parent
reply
0 points

Absolut! Das wollte ich damit auch überhaupt nicht implizieren.

Leider stelle ich mir den wissenschaftlichen Nachweis der Identität deutlich schwieriger vor als den von Chromosomen.

Das eine muss man mündlich machen und ist sehr induviduell, während man Gene sequenzieren und eindeutig, schwarz auf weiß, im Labor nachweisen kann.
Zwei Psychologen können bei der gleichen Person zwei unterschiedliche Diagnosen stellen, ein Labor aber arbeitet reproduzierbar.

Trotzdem sind psychologische Studien natürlich zu 100% genauso Wissenschaft und ebenfalls valide, das will ich damit nicht sagen.

Ich bin nur eine absolute Laborratte und liebe harte Fakten (Elektrophoresespektren, Antikörpertests, usw.), die ich in vielen psychologischen Tests eher nicht finden kann. Man kann ja in keinen Kopf hineinsehen.

Bitte korrigier mich und erklär mir, worin ich falsch liege. Würde mich sehr interessieren! :)

permalink
report
parent
reply
0 points

Psychologie mag keine empirische Wissenschaft sein, aber das heißt nicht, das biologische Teste wasserdicht sind. Letzten Endes muss man immer schauen, was man eigentlich misst, und das ist oft nicht das, was man am Ende als Aussage haben will. Antikörper sind ein schönes Beispiel, die binden auch gerne mal sonstwelchen Krempel. Wer Western Blots macht, hat das wahrscheinlich schon leidvoll erfahren müssen :) Jeder Test hat eine gewisse Sensitivität und Spezifität. Das ist frustrierend, aber nicht zu ändern. Letzten Endes handelt Wissenschaft immer in Wahrscheinlichkeiten.

permalink
report
parent
reply
0 points
*

Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern den Eindruck, den manch Wortwahl vermittelt. Denn weder der Fortschritt der jeweiligen Wissenschaft, ihre Hürden, die Qualität ihrer Pflege, noch der Stand der Technik ändern etwas an deren Gleichstellung zu anderen Wissenschaften. Darauf folgt nämlich so Unsinn, wie z.B. die Behauptung im anderen Kommentar, dass Psychologie keine empirische Wissenschaft sei.

Geistes- bzw. Sozialwissenschaften können ja wenig dafür, dass sie viel mehr mit Voreingenommenheiten des Menschen und größeren Einschränkungen kämpfen müssen.

permalink
report
parent
reply
0 points
*

Punkt 4: Ganz wichtiger Punkt: Die deutsche Sprache entsteht von unten herauf. Das heisst, dass es eben nicht ein Gremium gibt, das neue Wörter erfindet und Grammatik vorschreibt! Wo man das vielleicht das Gefühl hat:

  • Der Duden fasst die verwendete deutsche Sprache zusammen und hilft so, Missverständnisse vorzubeugen.
  • Deutschlehrpersonen lehren den Kindern das im Alltag genutzte Deutsch, sosass sie sich mit anderen Deutschen austauschen können.
  • Gendersprache-Befürworter bewerben ihre Art, gendergerecht zu sprechen/schreiben. Das sollte man nicht als Diktatur sehen sondern viel demokratischer: Nutzen genügend Leute ein gewisse Form von Gender-Stern oder so, dann wird das ganz natürlich in die deutsche Sprache einfliessen. Wenn sich die Mehrheit nicht damit anfreundet, dann nicht. Aufgebauscht wird es von Populisten und Aufmerksamkeitsgeilen

Es lohnt sich, mal verschiedene alte Texte zu lesen. Sprachgeschichte ist eine ganze wissenschaftliche Disziplin!

permalink
report
parent
reply
0 points

Schöner Kommentar, allerdings ist es selbst beim biologischen Geschlecht, wie immer in der Wissenschaft, nicht so simpel. Es gibt durchaus Karyotypen, die nicht dem ‘Standard’ entsprechen (Z.B. Klinefelter oder Turnersyndrom). Dann gibt es noch andere Fälle, wie Androgenresistenz bei der man trotz Y-Chromosom äusserlich weiblich sein kann. Wissenschaft liefert selten schwarz-weiße Einteilungen.

permalink
report
parent
reply
0 points
*

Klar, das hab ich auch nicht behauptet. Deshalb hab ich auch nie nur Mann oder Frau gesagt, mit dem Wissen, dass es auch selbst da biologische Ausnahmen geben kann. Das wäre aber für den eh schon langen Kommentar zu lange gewesen.

Nur kann man Chromosome und Hormone deutlich besser faktisch mit Labormessmethoden belegen als mündliche Aussagen als was man sich fühlt, daher kann man dort etwas schlechter Widersprechen.

permalink
report
parent
reply
0 points
*
  1. Man kann über mehrere Probleme auf einmal reden. Von wem wird es denn gepusht und wie? Analysiere das mal ganz unemotional, dann wirst du feststellen dass die eine Seite sich darüber aufregt und tobt und die andere sagt “es wäre ganz geil wenn ihr uns nicht umbringen wollen würdet” (übertrieben, aber damit meine ich: Aus der Öffentlichkeit weghaben, uns das Existenzrecht aberkennen). Von denjenigen die betroffen sind wird es in die Öffentlichkeit gebracht (CSD zb) eben damit man sieht, dass es solche Leute gibt und dass die zum Leben dazu gehören. Weil eben andere denen das Leben in der Öffentlichkeit absprechen wollen.

  2. Wieso hast du den Eindruck, dass bei der Sprache angefangen wird? Es wird doch auch anderes gemacht? Und niemand kann dir vorschreiben wie du zu reden hast, wenn du nicht in einem bestimmten Umfeld (Uni, Arbeit, etc) bist. Und wo ist dann das Problem, sich daran zu halten? Da gibt es ja auch andere Vorschriften wie Anrede, Stil, Fachbegriffe, … Bei dir aufm Land im Wirtshaus wird jedenfalls keine Genderpolizei vorbeikommen, also gegen was genau ist da jetzt Widerstand?

  3. Das herrscht es nicht und dein Gefühl entspricht dann nicht der Realität. Sagen wir es mal so: Es gibt auch jede Woche physikalische Entdeckungen und trotzdem wirkt immer noch die gleiche Physik auf dich. Das gleiche mit Geschlechtsidentität: Was da geforscht wird braucht dich eigentlich gar nicht zu interessieren, aber du darfst natürlich Interesse daran haben. Das ist akademisch. Vollkommen irrelevant für fast alle, wie das immer bei akademischen Sachen ist. Wissenschaft ist halt kompliziert.

  4. Sprache schwierig. Sprache lebt. Siehe Punkt zwei: Man muss halt drüber reden weil gewisse Dinge vielleicht doch nicht funktionieren - dann gehören sie halt wieder weg. Du suchst da nach einer Sicherheit die es nie gab und nie geben wird. Schau dir allein mal an, was vor 20 Jahren noch eine Beleidigung war. Oder noch keine. Solche Sachen ändern sich einfach dauernd, damit muss man leben. Ist auch nicht soooo schwierig und niemand reisst der Oma den Kopf ab, wenn sie “Negerkuss” sagt.

  5. Vor Verwirrung schützt man Kinder, indem man ihnen erzählt, dass es nicht nur das eine oder das andere gibt - wenn sie sich nämlich da nicht zugehörig fühlen sind sie ordentlich verwirrt. Aufklärung eben. Sie selbst entscheiden lassen. Altersangemessen. Und gerade der letzte Punkt wird oft gerne mal absichtlich übersehen um ein populistischeres Argument rauszuhauen. Es gibt massive Anstrengungen in Wissenschaft und Pädagogik rauszufinden, was genau jetzt angemessen für welches Alter ist und wem man was sagen kann und muss. Das wird nicht einfach so auf Grund einer Agenda gemacht!

Generell würde ich an deiner Stelle anfangen, die richtigen Fragen zu stellen. Du sagst es sei kein so wichtiges Thema. Frage: Warum regen sich dann konservative und rechte Populisten und Faschisten so darüber auf? Was wollen die damit erreichen? Und wird man da im Fahrtwasser mitgerissen, wenn man bestimmte Dinge übernimmt? Lässt man sich da instrumentalisieren für einen Hass, der mit der eigenen Lebensrealität nichts zu tun hat?

Für mich ist die Antwort klar. Ich will, dass Leute in Frieden leben können und ihre Persönlichkeit frei und öffentlich entfalten können (Grundgesetz und so, ne?), egal ob sie sich als Mann oder Frau oder als etwas dazwischen oder ausserhalb identifizieren. Und auf was sie stehen geht mich auch nichts an - sollten sie auf mich stehen ich aber nicht auf sie kann ich ja immer noch “Nein” sagen. Und ich persönlich hab jetzt auch kein so grosses Interesse daran, dass wir uns wieder ein Bundesheer heranbumsen müssen und das Mutterkreuz dafür wieder einführen.

Wenn du so Hetze hörst oder emotional aufgebrachte Argumente vorgetragen werden würde ich das immer mit der eigenen Lebenswirklichkeit abgleichen. Weisst du davon, oder wird dir nur ein (erfundenes / übertriebenes) Szenario vorgetragen, über das du dich aufregen sollst? Sollst du dir Sachverhalte vorstellen, bei deren Vorliegen nach deinem persönlichen Empfinden XYZ gerechtfertigt wäre, ohne objektiv zu beschreiben was denn jetzt genau Sache ist (wird es dir überlassen dir Dinge vorzustellen über die du dich aufregen sollst, auch wenn sie nicht existieren…? Schwer zu beschreiben).

Und: Geh mal davon aus, dass bei dir jemand lebt, der eben schwul ist. Würde der sich an dem Tisch wohl fühlen, wenn da gesagt wird was gesagt wird? Und wenn nicht - gibt es den einfach nicht bei euch oder sagt er nichts, weil er sich damit nicht wohl fühlt?

Gleich den Mist immer mit der Realität ab und du wirst feststellen, dass alles krass überzogen oder irrelevant für dich / euch ist (Kontext!). Und damit hast du ja recht. Daher kommt der mentale disconnect. Dir wird eingeredet worüber du dich aufregen sollst, aber das gibts halt einfach so in der Form nicht. Deshalb werden dir auch krass schlimme linksgrünversiffte Terroristen eingeredet.

Ein Beispiel für dich, weil das gerade sehr abstrakt war:

“What is a woman?” - “Was ist eine Frau?” Das war von Matt Walsh.

Grundidee: “Jeder weiss doch, was eine Frau ist! Das sieht man doch!”

Wertend von mir: “Der fragt das, um dann den Ausschnitt aus dem Kontext zu reissen und Leute als dumm darzustellen.”

Akademische Antwort: “Es ist unmöglich, Dinge zu definieren. Alle Dinge: Stühle, Fledermäuse, “Das Ich”, … Das fing schon damals mit “Ein Mensch ist ein federloser Zweibeiner” bei den Griechen an, daraufhin wurde dem Philosophen ein gerupftes Hühnchen präsentiert. Bei “Frau” konkret: Woran macht man es fest? An den Chromosomen? Aber es gibt Frauen, die männliche Chromosome haben, oder mehr. An der Gebährfähigkeit? Was ist dann mit Frauen, die keine Kinder mehr bekommen können, und sind Omas nach der Menopause keine Frauen mehr? An den Geschlechtsmerkmalen? Manche Männer haben größere Brüste als manche Frauen. Was ist mit Hermaphroditismus, also Zwittern? An anderen biologischen Merkmalen? Okay, welche denn jetzt genau? Und wenn du “häh irgendwie alles?” auf das oben genannte antwortest, dann überlässt man es eben doch dem Zufall und persönlichen Empfinden, was jetzt als Frau gilt, und das wollen wir ja gerade nicht.”

Relevante Antwort: “Es kommt auf den Kontext an. Beim Arzt kommt es zum Beispiel manchmal darauf an, ob die Person eine Gebärmutter hat: Du kannst nämlich nur dann Gebärmutterkrebs haben und es ist egal, als was du dich siehst. Dann macht es auch Sinn, das so zu definieren. Das ist ausserhalb von diesem Kontext aber komplett irrelevant und deshalb klingt es da auch so lächerlich, “Frauen” als “Gebärmutterhabende” zu bezeichnen. Das macht auch niemand - stell dir mal vor ich würde so eine Email beginnen: “Sehr geehrte Gebärmutterhabende Müller, …”. Man merkt, das will keiner, das ist lächerlich, und das weiss jeder. Genau so musst du, wenn du aufs Klo willst, nicht deine Chromosome vorzeigen. Wie denn auch? Kurz: Definitionen müssen uns helfen, Dinge benennen zu können und zu verstehen und nicht, um Menschen in Schubladen stecken und ihnen etwas aufzwängen zu können. “Jeder weiss doch, was mit Frau gemeint ist!” - ja, im Alltag schon, das funktioniert. Und das ist gut so, dann müssen wir in dem Kontext ja auch nichts anders machen. Aber in einem anderen Kontext eben schon! Da müssen wir genauer schauen, was uns jetzt in diesem Moment wirklich interessiert.”

Alles zusammengefasst: Gleich immer mit deiner Lebenswirklichkeit ab, was dir erzählt wird! Ist das der richtige Kontext und ist das relevant?

Achja, und was persönliches hinterher: Ich lebe friedlicher und zufriedener, wenn ich mir nicht jeden Tag reinballere wen ich jetzt warum hassen soll. Tut gut. Aber ich bin auch nicht immun: Hass kann süchtig machen, und das wissen genug Leute zu gut…

permalink
report
reply
0 points

Super lange Antwort, danke. Ich werde das (sinnwahrend gekürzt) vorlesen.

permalink
report
parent
reply
0 points

Hab dir noch ein Beispiel hingeschrieben. Fyi, ich bin nur n ganz normaler dude. Ich studier das nicht, ich hab mit dem ganzen Zeug nix am Hut, ich bin so weiss und hetero wie es nur geht. Und ich hab die Schnauze voll von dem ganzen Hass, der rumschwirrt.

permalink
report
parent
reply
0 points

Nur ein paar Gedanken dazu:

  1. Ich sehe es sehr kritisch, dass Menschen lieber beim CSD party machen als auf Klimademos zu gehen. Aber solche Themen sind immer einfacher zu lösen als Klimakatastrophe zb, man ändert eine Schreibweise und ist schon sehr weit. Und es ist natürlich ein großes Problem, dass Menschen diskriminiert werden.
  • toxische Männerrollen führen zu hohen Selbstmordraten, Alkoholismus, Aggression, Egoismus, wenig Therapiesuche etc
  • Frauenrollen reden Menschen ein sie müssten immer perfekt aussehen, bestimmte Verhaltensweisen wären “unweiblich”
  • Diskriminierende Sprache existiert überall, genauso wie Einteilung bei Klos, Umkleiden, Klamottenläden, Kosmetik, Sportvereinen, Wettkämpfen, medizinischen Behandlungen etc

Mir fallen spontan aber mehr feministische Probleme ein, als andere. Zb Paygap, Abtreibungsprobleme und krasse Gesetze, Sexismus bei Bewerbungen, Dosierung von Medikamenten, falsch eingestelle Autositze, Verhütungsmethoden,…

  1. Sprache kann jeder verändern

  2. Ich sehe das Problem beim Kategorisieren. Wir sehen, dass Menschen sexistisch in irgendwelche Rollen gesteckt werden, die irgendwie allen schaden. Aber statt als Lösung einfach gegenderte Personenbezeichnungen oder Pronomen abzuschaffen (oder einfach einen zu verwenden), und nebenbei Deutsch etwas einfacher zu machen, erfinden Menschen noch mehr Kategorien und Pronomen.

Es ist völlig normal, dass jeder Mensch unterschiedlich in vielen, anders in einigen und einzigartig in wenigen Eigenschaften ist. Jeder ist irgendwo auf einem Spektrum, Sexualität, Geschlecht. Man kann 20% homosexell sein, glaube ich.

Aber diese Klassifizierungen erzeugen ja die Probleme und sollten deswegen abgeschafft / vereinfacht werden.

Pronomen sind Vereinfachungen, neue zu erfinden ist nur begrenzt sinnvoll. Ein generelles wie “they” im Englischen, oder “mensch” in einigen Kreisen ist so ein Versuch bzw schon etabliert. In Schweden haben sie übrigens auch “hen” was neutral ist.

  1. Was nicht festgelegt ist, hat keine Standards. Es geht ja um ein Loslösen und Identitätsfindung. Viele Menschen sagen auch “keine Pronomen”, was ein anderer Ansatz ist. “Alle Pronomen” funktioniert meist nicht, weil Menschen einfach weiter das alte benutzen.

  2. Wovor muss man wen schützen? Rückblickend bin ich sicher, dass ich in der Schule immer toxische Männlichkeit gehasst habe. Jungs, die sich auf die Fresse hauen und lästernde Mädchen, das ist das Resultat des momentanen “Schutzes”.

Was ist schlimm daran, “Mädchen” mit kurzen Haaren und “jungshaftem” Verhalten zu sagen, dass sie sein können wie sie wollen? Oder “Jungs”, die sich anders verhalten als es typisch wäre?

Und über die Kinder, die sich dann jede Woche ein neues Pronomen ausdenken darf man sich nicht sorgen. Es sind Kinder, das wird sich alles noch finden, warum müssen wir alles immer so ernst sehen? Niemand braucht diese regelkonformen Zwänge, die wir Kindern auflegen.

permalink
report
reply

Frag Feddit

!fragfeddit@feddit.de

Create post

Wolltest du Der Leere™ schon immer einmal Fragen stellen? Tue dies hier.

Community stats

  • 2

    Monthly active users

  • 529

    Posts

  • 5.7K

    Comments