Weil man ja in Zukunft vielleicht doch auch mal wieder Schnee zu Weihnachten haben möchte, aber auch nicht nur in den eigenen 4 Wänden verschimmeln will, bin ich diesen Winter mal häufiger mit der Bahn umher gefahren.

Dabei ist mir wieder einmal aufgefallen, was für eine beschissen asoziale Gesellschaft wir doch sind. So viele Bahnhöfe haben entweder gar keinen beheizten Bereich und/oder keine Sitzmöglichkeiten mehr. Die Wut über Verspätungen wärmt nicht so toll und dann überwiegt doch sehr schnell die Kälte.

Abhilfe? Man muss entweder zahlen und sich in ein Café oder Restaurant setzen oder frieren. Doch halt, was sehen meine fast zugefrorenen Augen? Eine DB Lounge?

Mit letzter Kraft dahin geschleppt und die eingefrorene Tür mit meinen letzten Atemzügen aufgetaut und geöffnet. Aber dann?

Tja, Pustekuchen, nur für extra spezielle Reisende!

Nicht mal normale 1%ler 1. Klasse Fahrende dürfen hier rein, sondern nur die 0.1% mit 1.Klasse Flexticket. Warm sein ist schließlich ein mit Gold bezahlbares Privileg und keine Selbstverständlichkeit.

Was bleibt ist die wiederholte Feststellung, dass wir lieber allen es schlechter gehen und alle frieren und stehen lassen, als dass ein paar Menschen denen es sowieso schon echt dreckig geht sich aufwärmen und hinsetzen/legen könnten. Hauptsache Konsum!

Den Ausschlag zum Schreiben dieser Tirade gab die Werbetafel im Leipziger Bahnhof, der stolz verkündete, das Leipzig den einzigen Bahnhof Deutschlands im Top 10 Europa Ranking hatte. Das kann dann nicht im Winter bewertet worden sein. Da wären die Juroren nämlich erfroren.

41 points

Warte ab, bis du von dem wunderbaren Begriff der “defensiven Architektur” gehört hast.

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34 points
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defensiven Architektur

was für ein scheißbegriff.
(menschen-)feindliche Architektur wohl eher.
Das englische “hostile design” triffts echt besser.

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24 points

Können wir den Euphemismus nicht einfach sein lassen oder zumindest direkt einordnen? Z.B. so:

„defensiven Architektur aka feindselige Architektur

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3 points

Genau!

Ich drehe das sogar eher um (bei schon sehr verbreiteten Begriffen, und wenn die Lächerlichkeit hervorgehoben wird, ansonsten lasse ich ihn ganz weg), damit solche Euphemismen sich gar nicht erst zu stark verankern.

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9 points

Kenne ich leider schon. Aber ja, im Prinzip genau das ist es, was mich so daran stört.

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25 points

Ich war vor einer Weile mal in den Niederlanden unterwegs. Nachts eine halbe Stunde irgendwo an einem Bahnhof, dessen Namen ich vergessen habe, auf den Umstieg gewartet. Da gab es einen beheizten Warteraum. Mehrere Reihen Bänke, diverse Automaten mit Kaffee & Snacks an der Wand, eine Kamera an der Decke und ein Display, welches die Abfahrtszeiten angezeigt hat. Die Leute saßen da im Warmen, haben auf ihre Handys geschaut und alles wunderbar. Ich gehe mal davon aus, dass Security kommen würde, wenn ich auf die Idee gekommen wäre da zu übernachten oder betrunken Quatsch mache.

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5 points

Sowas ist doch viel zu teuer!!

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23 points
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Ich gebe dem Kapitalismus die Schuld.

Warum werden Bänke abgebaut/ ungemütlicher? Weil Obdachlose und als „asozial“ empfundene Menschen auf ihnen liegen/sitzen und sich viele Menschen davon gestört/bedroht fühlen. Außerdem bieten sie die Möglichkeit, sich auszuruhen, was nicht erwünscht ist. Du sollst in den Bahnhof gehen, in deinen Zug einsteigen und dich verpissen.

Also treffen die Betreiber der Bahnhöfe die (ironischerweise asoziale) Entscheidung auf Bänke zu verzichten. Dadurch entsteht gerade im Winter eine Nachfrage nach Orten, an denen es warm ist. Indem man nun exklusive warme Orte aufbaut, nutzt man das menschliche Bedürfnis, nicht zu frieren, aus um Profit zu machen.

Warum empfinden viele Menschen andere Menschen, die z.B. auf Bänken liegen als „asozial“? Einerseits gibt es natürlich Situationen, in denen das liegen auf Bänken der Gemeinschaft schadet, wenn z.B. viele Menschen am Bahnhof stehen und eine Person unnötig 3 Sitze beansprucht, ist das unsozial.

Ein weiterer Faktor ist, dass generell alle Dinge, die nicht eine Form des Konsums, der Weg nach Hause oder zu einem Ort des Konsums sind, als asozial empfunden werden.

Mensch liegt auf dem Rücken auf einer Bank/dem Boden/…? Ist der Obdachlos? Wieso liegt der da? Wieso ist der faul und bringt keine Leistung?

Gruppe Menschen sitzt an einem öffentlichen Platz? Wieso faulenzen die? (bei Männergruppen) sind die Kriminell?

Denkt mal an euren Alltag. Gibt es Momente, an denen ihr außerhalb eures Zuhauses einfach nur existieren könnt?

Auf der Arbeit muss man Leistung bringen oder zumindest so tun, beim Einkaufen muss man den Einkauf möglichst schnell erledigen, um keine anderen Menschen zu stören (Stichwort Wettpacken mit dem Kassierer), auf dem Weg irgendwohin versucht man oft möglichst schnell zu sein und sich nicht unnötig aufhalten zu lassen, in Vereinen interagiert man mit anderen Menschen.

Es gibt quasi keine öffentlichen Orte, an denen man einfach existieren kann, ohne dabei komisch angeschaut zu werden.

Warum? Meine Theorie: Die Existenz von z.B. Gruppen von Jugendlichen, die einfach nur irgendwo sitzen, erinnert Menschen daran, dass sie selbst vielleicht irgendwann mal die Möglichkeit hatten, das Leben zu genießen, aber sich inzwischen nur noch von einer Aufgabe zur nächsten hangeln und diese kleinen Glückserlebnisse dabei auf der Strecke bleiben.

Statt sich nun ein paar Stunden zu nehmen, um sich einfach entspannt auf eine Parkbank zu legen, machen diese Menschen aber die Jugendlichen unterbewusst für ihre negativen Emotionen verantwortlich.

Warum nehmen sie sich nicht einfach die paar Stunden? Weil sie nicht in der Lage sind, zu entspannen. Wenn du jahrelang eine Aufgabe nach der anderen abarbeitest, fühlt es sich nach verlorener Zeit an, einfach mal nichts zu tun. Schließlich könntest du die Zeit nutzen, um dich weiterzubilden, Sprachen zu lernen, zu networken, …

Was hat das alles mit Kapitalismus zu tun? Mit der Neoliberalisierung der Gesellschaft ist das Kapitalistische Leistungsdenken in andere Bereiche der Gesellschaft geschwappt.

Third Places, also Orte an denen man Menschen trifft, die nicht das eigene Zuhause oder die Arbeit sind, wurden kommerzialisiert. Du willst in einer Bar sitzen und Leute treffen? Dann kauf dir ein Bier. Du willst im Club mit anderen Menschen feiern? Dann bezahl Eintritt. Du willst in einem Verein Menschen mit deinen Interessen treffen? Mitgliedsbeitrag, bitte.

Dadurch haben Menschen mit weniger Geld automatisch weniger Möglichkeiten, andere Menschen zu treffen und Kontakte zu knüpfen.

46% der 16 - 30-jährigen fühlen sich einsam, besonders Arbeitslose, Menschen mit niedrigem Schulabschluss, Menschen in mittelgroßen Städten (keine Dorfgemeinschaft, gleichzeitig keine große Auswahl an Vereinen, …) und Menschen mit Migrationshintergrund (das Frauen überrepräsentiert sind würde ich darauf zurückführen, dass Frauen wahrscheinlich eher zugeben, dass sie sich einsam fühlen).

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/junge-menschen-und-gesellschaft/projektnachrichten/wie-einsam-sind-junge-erwachsene-im-jahr-2024

Die einzige Lösung dafür ist die Schaffung von kostenlosen Third Places, also Orten an denen Menschen sich treffen können, ohne dafür bezahlen zu müssen. Auch einige Bänke an einem Bahnhof können ein Third Place sein. Kein Unternehmen wird in den Ausbau dieser Art von Infrastruktur investieren, da es keinen Profit bringt. Diese Maßnahme müsste also vom Staat oder der Zivilgesellschaft ausgehen.

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2 points

In Berlin gibt es solche Orte: die vielen Parks. Allerdings auch nur im Sommer…

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20 points

Kann ich so nur bestätigen. War diesen Monat am Hamburger Hauptbahnhof. Draussen Regen und arschkalter Wind, der einem das Fleisch von den Knochen schneidet. Innen Windtunnel ohne Ende. Pro Gleis ein paar Sitzplätze verteilt, aber wenn man sich da hinsetzt friert man sich trotzdem was ab durch o.g. Windtunnel.

Einzige warme Sitzmöglichkeit DB Lounge, McDonalds oder irgendein anderes Restaurant. Im direkten Vergleich hier in Schweden hat jedes noch so kleine Kackkaff mit Bahnhof einen beheizten Warteraum. Selbst mein “Städchen” am Arsch der Waldfee mit knapp 3000 Einwohner hat sowas.

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1 point

Deutschland Autoland, tja

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24 points

Deutschlandticket haben und sich in irgendeinen Nahverkehrszug setzen und einmal hin und her fahren, um sich aufzuwärmen. Wenn sich der dann nicht verspätet… 😖

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11 points

OK, ich sehe ich kann noch viel lernen von euch, oh Meister!

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23 points

Das Thema ist globaler. Hier in der Augsburger Innenstadt kannst du dich nahezu nicht hinsetzen, ohne was zu konsumieren. Wenn du kleine Kinder hast und kein Geld, ist bei Regen die Kinderabteilung der zentralen Stadtbücherei der einzige kostenneutrale Aufenthaltsort (Mit Klo und Wickelraum!), den die Stadt bietet.
Dass auf Bahnhöfen WC-Benutzung kostenpflichtig ist, empfinde ich als Unverschämtheit. Fressen und Saufen für teuer Geld darfst du, aber das wieder loswerden kostet extra.

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15 points

Ja, das ist leider nicht spezifisch nur ein deutsches Problem. Wir können echt so froh sein, das das Konzept der Bibliothek schon vor Jahrhunderten entwickelt wurde und mittlerweile etabliert ist.

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