Seit knapp zwei Jahren gehen in ganz Ungarn regelmäßig Schüler, Lehrerinnen und Eltern gegen das marode Bildungssystem im Land auf die Straße. Am 23. Oktober, ein Jahr nach ihrer Rede, wollen Lili Pankotai und ihre Mitstreiter 100.000 Menschen in Budapest versammeln.
Denn die Lage an ungarischen Schulen ist nach wie vor prekär. Beim EU-weiten Gehaltsvergleich stehen ungarische Lehrer an drittletzter Stelle. Gleichzeitig leidet Ungarn unter der aktuell höchsten Inflationsrate in der EU (14,2 Prozent im August 2023). Hinzu kommen für die Lehrer eine hohe Arbeitsbelastung und veraltete Lehrmethoden.
Seit Lilis Auftritt vor einem Jahr steht ihr Leben Kopf. Auf Druck der Schulleitung verließ sie wenige Wochen nach ihrer Rede ihre Schule im südungarischen Pécs. Ihre Rede sei “unvereinbar mit den christlichen Werten” der Schule gewesen, schrieb der Direktor ihres Gymnasiums damals auf Facebook. Lili ging nach Budapest, weit weg von Familie und Freunden. Heute geht sie dort auf eine Privatschule, ein Gymnasium mit alternativen Lehrmethoden.
Doch bei Umzug und Schulwechsel blieb es nicht. Die regierungsnahen Medien nahmen sie mit Schmutzkampagnen unter Beschuss, mehrfach wurde sie zu Geldstrafen verurteilt, weil sie Schülerproteste organisierte. Im Juli veröffentlichte Lili auf Facebook einen an sie adressierten Drohbrief.
Bislang ist die Orbán-Regierung kaum zu Zugeständnissen an die Protestierenden bereit. Größere Gehaltserhöhungen könne man nur umsetzen, wenn die EU die Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbaufonds an Ungarn auszahle, hieß es immer wieder. Wegen Rechtsstaatlichkeitsverstößen hält die EU diese Zahlungen an Ungarn zurück.
Im Sommer reagierte die Regierung dann mit dem sogenannten “Statusgesetz”. Kritiker nennen es “Rachegesetz”, denn es hebt den Status von Lehrern als Angestellte des öffentlichen Dienstes auf, erhöht die zulässige Wochenarbeitszeit und ermöglicht die Versetzung von Lehrern an andere Schulen, an denen Lehrermangel herrscht. “Damit wollten sie ein Exempel statuieren”, sagt Lili Pankotai im Gespräch mit dem MDR. “Zu zeigen, dass es für Protest Vergeltungsmaßnahmen gibt, dass man mit der Existenzangst der Leute spielt, das ist ein großer Hebel, um sie in Schach zu halten.”
Seit der Verabschiedung des Gesetzes hätten rund 1.200 Lehrer den Beruf verlassen, erklärte das Innenministerium Anfang Oktober. Viele weitere könnten folgen, was den bereits bestehenden Lehrermangel an ungarischen Schulen noch verschärfen würde. Die Regierung beteuert, das Gesetz sei die Basis für Reformen im Bildungswesen und zukünftige Gehaltserhöhungen für Lehrkräfte. Die Lehrergewerkschaft PDSZ bezweifelt das und bemängelt, dass das Gesetz keinerlei Garantien für Gehaltserhöhungen beinhalte.
Nicht nur für die Lehrer, auch für die Schüler habe das “Statusgesetz” dramatische Konsequenzen, sagt Kristóf Mile von der Schülerbewegung Vereinigte Schülerfront (“Egységes Diákfront”), die sich immer wieder an Protesten beteiligt. 15 Lehrer hätten allein an seinem Budapester Gymnasium seitdem gekündigt oder seien entlassen worden. Deshalb startet er gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen ab dem 23. Oktober ein alternatives Referendum, bei dem Menschen im ganzen Land über sieben Kernfragen zum ungarischen Bildungssystem abstimmen können. Dass die Orbán-Regierung die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen wird, bezweifelt Kristóf zwar - “aber wir wollen den Menschen Hoffnung für ein besseres Ungarn geben”, sagt der 15-Jährige dem MDR.
Kristóf und Lili kämpfen für ein anderes Bildungssystem. Für weniger Frontalunterricht und mehr Anreize zu kritischem Denken, für gut bezahlte Lehrkräfte und modern ausgestattete Schulen. “Man könnte sich an den Finnen oder den Dänen orientieren”, sagt Kristóf. Beide Länder sind bekannt für ihr exzellentes Bildungssystem.
Doch Kristóf, Lili und viele Kritiker sind der Meinung, dass die Orbán-Regierung ein besseres Bildungssystem gar nicht will. “Es gibt ein großes politisches Interesse an der Verdummung”, sagt Lili Pankotai. “Sie fangen bei den Kindern an, damit die nachfolgenden Generationen von vornherein alles glauben, was man ihnen sagt. Dann hat man irgendwann eine Gesellschaft, in der jeder Einzelne sein Leben lebt, ohne kritische Fragen zu stellen.” Dagegen zu kämpfen sei mühsam, sagt Lili. “Aber mein Gerechtigkeitssinn lässt es nicht zu, dass ich aufhöre.”
Für weniger Frontalunterricht und mehr Anreize zu kritischem Denken, für gut bezahlte Lehrkräfte und modern ausgestattete Schulen.
Das hatte ich auch nicht 😂 Kann aber gut verstehen warum die es wollen. Das wollte ich zu dem Zeitpunkt auch - naja, will ich immer noch selbst wenn es mir direkt nicht mehr zugute kommen würde.
und dann in paar jahren rumheulen, dass das land keinerlei fachkräfte mehr hat, weil sie das ausland alle “abgeworben” hat.
genau mein humor