Das Phänomen Long Covid bleibt umstritten. Ein Forscherteam rechnet nun mit der aus ihrer Sicht methodisch katastrophalen Studienlage ab. Diese würde eine Zerrbild der Gefährdung hervorbringen. Wie hoch ist das Risiko, an Long Covid zu erkranken, wirklich?

Wie hoch ist eigentlich das Risiko, an Long Covid zu erkranken? Genau weiß das niemand. Aber laut einem Meinungsbeitrag von Forschenden aus den USA, England und Dänemark wird es überschätzt. Die Autoren führen das auf eklatante Mängel bei vielen wissenschaftlichen Arbeiten zu Long Covid zurück. Unsauber geführte Studien würden wiederum von anderen Studien aufgegriffen, welche die Forschungslage zusammenfassen: Dadurch sei in der Öffentlichkeit ein Zerrbild über die wahre Dimension des Problems entstanden.

Die Autoren um den US-Onkologen Vinay Prasad, deren Beitrag im Fachmagazin “BMJ Evidence-based Medicine” erschien, bemängeln an vielen Studien zur Long-Covid-Häufigkeit etwa fehlende oder ungeeignete Kontrollgruppen. Es sei also nicht verglichen worden, wie häufig die Symptome, die Long Covid zugeordnet wurden, auch in Gruppen von nicht mit Sars-CoV-2 Infizierten auftauchen. Bei Studien mit Kontrollgruppen hingegen seien bei Kindern und Erwachsenen unter 50 Jahren geringe bis keine Unterschiede in der Häufigkeit der gemeldeten Symptome nachgewiesen worden, schreiben sie.

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“Die derzeit präsentierten Zahlen sind wohl allgemein zu hoch, und nicht nur auf die Infektion mit Sars-CoV-2 zurückzuführen”, ist auch Dietrich Rothenbacher überzeugt. Er leitet das Institut für Epidemiologie und medizinische Biometrie an der Universität Ulm. Eine eigene Studie habe eine Post-Covid-Häufigkeit von 6,5 Prozent sechs bis zwölf Monate nach einer Infektion ermittelt. Auch teilt Rothenbacher die Kritik, dass bei vielen Long-Covid-Studien Probleme zu beobachten seien.

Der Einschätzung, dass die Häufigkeit von Long Covid überschätzt wird, kann Andreas Stallmach, Leiter des Long-Covid-Zentrums am Universitätsklinikum Jena, zumindest “partiell zustimmen”. Je nach Ansatz der Studien würde sich die Zahl der Krankheitsfälle unterscheiden. “Wir gehen von fünf bis sechs Prozent aus”, so Stallmach über die Long-Covid-Häufigkeit nach Corona-Infekt. Allerdings sei die Krankheitswahrscheinlichkeit je nach Variante unterschiedlich: “So ist das Risiko von Post Covid während der Delta-Welle deutlich höher ausgefallen als während der Omikron-Welle”, so Stallmach. Dies müsse bei Studien ebenfalls berücksichtigt werden.

“Die unzureichenden Kontrollgruppen in vielen Untersuchungen haben sicherlich dazu beigetragen, dass das Krankheitsrisiko heute überschätzt wird”, kommentierte Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), mit Blick auf den kritischen BMJ-Artikel. Die häufig bei Long Covid beschriebenen Symptome seien meist überhaupt nicht Covid-19-spezifisch. “Das chronische Müdigkeitssyndrom etwa tritt auch bei anderen viralen Infektionen auf”, so Berlit. Es sei nach wie vor nur unzureichend erforscht und werde zunehmend synonym für Long Covid gebraucht, was so nicht korrekt sei.

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Was mich als betroffener am meisten aufregt ist, dass die Erschöpfungs-Symptomatik schon seit Jahrzehnten bekannt ist. Aber CFS/ME wurde einfach von den meisten Ärzten immer als Schwachsinn abgetan, kontraproduktive Empfehlungen herausgegeben und kein Geld für Forschung freigegeben. Insofern ist Long Covid für die CFS/ME-Patienten ein Segen, weil endlich mal was passiert.

Aber viele Ärzte halten auch jetzt noch Long Covid für ein Märchen. Musste meinen Hausarzt deswegen wechseln. Seine Empfehlung einfach so wieder arbeiten zu gehen hat mich quasi ans Bett gefesselt. Aber auch bei meiner neuen Ärztin bin ich mir nicht sicher, ob sie mich ernst nimmt.

Ich habe mich jetzt zu einer Studie mit Blutwäsche angemeldet. Hoffentlich werde ich angenommen und bekomme nicht das Plazebo.

Und ich sehe schon kommen, dass andere CFS/ME-Patienten keine Hilfe bekommen werden, weil sie kein Corona hatten. Dabei ist die Symptomatik komplett identisch.

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Da sagst du was. Wenn überhaupt wurden Langzeitfolgen von Erkrankungen wie zum Beispiel der Grippe bislang einfach unterschätzt, beziehungsweise gar nicht erst anerkannt. Die Diskussion sollte sich eigentlich nicht nur um Corona im speziellen drehen. Um einen produktiven Diskurs führen zu können, sollte man schon ein Spektrum an Erkrankungen anführen, sonst werden die immer wieder miteinander relativiert, wie es Skeptikern gerade passt.

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