Südafrika hat Israel in Den Haag wegen Völkermordes verklagt. Geht das? Es gibt einen Präzedenzfall, den auch Deutschland unterstützt.

Das Zitat klingt wie ein Völkermordaufruf aus Ruanda im Jahr 1994, als Hetzmedien die Hutu-Bevölkerung des Landes anstachelten, alle Tutsi zu vernichten: „Triumphiert, macht sie fertig, lasst niemanden zurück. Löscht die Erinnerung an sie aus. Löscht sie aus, ihre Familien, Mütter und Kinder. Diese Tiere dürfen nicht weiterleben.“ Derartige Parolen waren später maßgeblich in der Feststellung der internationalen Justiz, dass in Ruanda damals ein Völkermord stattfand.

Tatsächlich stammt das Zitat von einem israelischen Armeereservisten. Am 11. Oktober 2023, vier Tage nach dem Hamas-Terrorüberfall auf Israel mit nahezu 1.200 Toten, nahm er in Uniform auf einem Militärfahrzeug eine Videoansprache auf, die dann unter israelischen Soldaten verbreitet wurde. Sie geht wie folgt weiter: „Jeder Jude mit einer Waffe soll hinausgehen und sie töten. Wenn du einen arabischen Nachbarn hast, warte nicht, geh zu ihm und erschieße ihn (…) Wir wollen hineingehen und zerstören.“

Die Videoansprache steht in Südafrikas Klage gegen Israel wegen Völkermords an den Palästinensern, die am 29. Dezember 2023 beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag eingereicht wurde. Die 84-seitige Klageschrift führt mit detaillierten Nachweisen viele Einzeltaten auf, die den Völkermordvorwurf belegen sollen.

Besonders bedrückend: acht Seiten Zitate – von Präsident Isaac Herzog („Wir werden ihnen das Rückgrat brechen“) über Energieminister Israel Katz („Kein Tropfen Wasser, keine Strombatterie, bis sie aus dieser Welt scheiden“) und den stellvertretenden Parlamentssprecher Nissim Vatzuri („Wir haben ein gemeinsames Ziel: den Gaza­streifen vom Erdboden tilgen“) bis zu einem ehemaligen Parlamentsabgeordneten, der am 25. Dezember 2023 sagte: „In Gaza sind sie alle Terroristen, Hundesöhne, ohne Ausnahme. Sie müssen ausgelöscht werden, alle getötet werden. Wir werden Gaza plattmachen, zu Staub verwandeln.“

Insgesamt, so Südafrika, begehe Israel „Akte des Völkermords am palästinensischen Volk in Gaza“ und habe „insbesondere seit dem 7. Oktober 2023 Genozid nicht verhindert und die direkte und öffentliche Anreizung zum Genozid nicht verfolgt“. Da Israel das anders sehe, müsse nun der IGH den Streitfall klären.

[…]

Das heißt auch: Jedes Land kann sich einschalten. Im Fall Myanmar hat das gerade Deutschland getan. Gemeinsam mit Kanada, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden übermittelte Deutschland am 15. November 2023 dem IGH eine „Joint Declaration of Intervention“ zur Unterstützung von Gambias Klage.

Sie machen sich die neuesten Präzisierungen des Genozidbegriffs zu eigen und gehen noch weiter mit der Feststellung, „dass eine gewaltsame Militäroperation, die die erzwungene Vertreibung von Mitgliedern einer Gruppe verursacht, zum Beweis einer spezifischen Absicht beitragen kann, die Gruppe zu zerstören“.

Man darf gespannt sein, ob dieser Maßstab auch für Israels Umgang mit den Palästinensern gilt. Gemessen an anderen Genozidverfahren ist das Kernelement der „Absicht“ in der Klage sehr gut dokumentiert. Am 11. Januar beginnen in Den Haag die öffentlichen Anhörungen. Der Völkerstrafrechtsaktivist Reed Brody freut sich bereits auf das „Völkerrechtspendant zu einem WM-Finale“.

Israel will davon nichts wissen. Es boykottiert den IGH und weist den Vorwurf des Völkermords als „antisemitisch“ zurück. Die südafrikanischen Kläger betonen allerdings, es gehe erst mal gar nicht darum, einen Völkermord in Gaza festzustellen. Das Gericht solle bloß den Dissens zwischen Südafrika und Israel festhalten und eine einstweilige Verfügung gegen Israel erlassen, so wie gegen Myanmar. Dies, so die Hoffnung, könnte weitere Verfahren ermutigen – auch in Israel selbst.

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In Ruanda gab es keinen Casus Belli. Und es sind mindestens 800.000 Tutsi ermordet worden. Aber, hey, bloß keine Zurückhaltung bei der Entblödung. Sobald ein Jude nur auf dem Existenzrecht Israels beharrt, ist es doch schon fast Völkermord.

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“Casus Belli” ist der Ausgangspunkt in dem ein souveräner Staat den Grund sieht einem anderen souveränen Staat den Krieg zu erklären. Israel erkennt aber garkeinen souveränen Palästinensischen Staat an und hält die Territorien besetzt und kontrolliert. Der Begriff ist hier also fehl am Platz. Aber um nochmal klaruzustellen: Ein gewaltätiger Angriff rechtfertigt keinen Völkermord.

Sich jetzt hier in der Opferrolle zu suhlen ist lächerlich, während in Deutschland noch immer das “Existenzrecht Israels” als pauschale Antisemitismuskeule gegen alles und jeden insbesondere gegen Juden eingesetzt wird, die Israel kritisieren.

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Der Begriff ist hier also fehl am Platz.

Das siehst du aber leider falsch. Es gibt keinen Völkerrechtler, der Israel nicht den Casus Belli zusprechen würde.

Aber um nochmal klaruzustellen: Ein gewaltätiger Angriff rechtfertigt keinen Völkermord.

Aber um nochmal klarzustellen: Da passiert auch kein Völkermord.

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Aber um nochmal klarzustellen: Da passiert auch kein Völkermord.

Sag es doch noch drei, vier Mal, vielleicht glaubst du es dann selber.

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Es gibt keinen Casus belli, der Genozid rechtfertigen würde.

Sobald ein Jude nur auf dem Existenzrecht Israels beharrt, ist es doch schon fast Völkermord.

Nicht, solange dabei das Existenzrecht Palästinas gewahrt bleibt.

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Nicht, solange dabei das Existenzrecht Palästinas gewahrt bleibt.

Welches Völkerrechtssubjekt existiert denn gerade in Gaza?

Und um nochmal klarzustellen: Da passiert auch kein Völkermord.

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Falls du wirklich interessiert bist an dem Fall, hier ist die Klageschrift, die auf 84 Seiten sehr detailliert zusammenträgt, aufgrund welcher Handlungen und welcher Äußerungen Israels ein Völkermord in Gaza sehr wahrscheinlich ist.

https://d3i6fh83elv35t.cloudfront.net/static/2024/01/192-20231228-app-01-00-en.pdf

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Der Angriff auf den Sender Gleiwitz ist ja auch ein schöner Casus Belli. Holocaust jetzt OK?

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Entweder weißt du nicht, dass der Angriff auf den Sender Gleiwitz komplett inszeniert war. Dann bist du nur sehr, sehr dumm. Oder du möchtest mit deinem Vergleich anregen, dass das Massaker vom 7. Oktober komplett inszeniert war. Dann stehst du mit einem Bein im Knast wegen Billigung von Straftaten.

In beiden Fällen sind deine Kommentare von nun an nicht mehr satisfaktionsfähig.

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Ein Anlass zum Kriegseintritt ist mitnichten die Rechtfertigung für einen Völkermord. Und danach sieht es hier immer mehr aus.

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