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Warum sollte der ÖR eine Meinung bzw. eine politische Position einnehmen?

Vielleicht reden wir auch ein Stück weit aneinander vorbei. Mir geht es gar nicht darum, dass ich einen “parteiischen” ÖR haben möchte, der unbedingt politische Meinungen einnehmen soll. Im Idealfall ist er neutral.

Du hast dich nur im Anfangspost darüber beschwert, dass AfDler zwar immer den ÖR als “linksgrünversifft” bezeichnen, er dir aber zu “rechts” ist. Mein Punkt war der, dass es ein neutraler ÖR keiner dieser Seiten Recht machen könnte und es insofern ein eigentlich ganz gutes Zeichen ist, wenn beide Seiten dem ÖR jeweils eine Tendenz in die andere Richtung vorwerfen.

Naja, Klima- und Energiepolitisch haben z.B. die Grünen die Nase vorn was ihre faktische Basis und das wissenschaftliche Fundament angeht.

Das stimmt, ist aber, wie du selber sagst, nur ein kleiner Bestandteil des weiten Feldes Politik. Andere Themen sind viel weniger “hart” und lassen viel Platz zu Interpretationen. Faktenbasiert müsste doch eine progressive Partei wie die Linke ein Anheben des Renteneintrittsalters fordern, um den Entwicklungen der Lebenserwartungen gerecht zu werden. Fordern tun sie hingegen das Gegenteil. Oder nimm das Fukushima-Beispiel. Nüchtern faktenbasiert hätte man zu dem Schluss kommen müssen, dass sich aus dem Unglück für die deutschen Meiler kein Handlungsbedarf ergibt. Entschieden haben wir uns (glücklicherweise!) anders. Fakten sind ein Teil, aber nie zu 100% der Grund für politische Entscheidungen. Es geht bei Politik auch jenseits klassischer populistischer Parteien immer auch darum, was die Menschen wollen. Das Dilemma kriegst du auch nicht aufgelöst in meinen Augen, da ein Mensch nie zu 100% rational ist und auch nicht sein möchte.

Das ist eine falsche Gleichstellung. Nicht überall wird im gleichen Maße und mit den gravierendsten Auswirkungen gelogen.

Der Punkt ist: Lügen ist nicht abhängig von politischen Ausrichtungen. Wir leben in einem ziemlich konservativen Land und daher prägt die momentane Welle des Populismus hierzulande so Parteien wie die AfD am äußersten rechten Rand. Wenn du jedoch nach Südamerika schaust, findest du dort problemlos Linkspopulismus. Das Fehlen von Linkspopulismus hierzulande hat in meinen Augen nichts mit einer “Unmöglichkeit” von einer Kombination von Links und Populismus zu tun, sondern einfach mit der extremen Schwäche der politischen Linken an sich. Wagenknecht ist mit ihrem “Bündnis” auch dadurch so stark geworden, dass sie in ihren Populismus auch rechte Positionen einfließen lässt.

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Du hast dich nur im Anfangspost darüber beschwert, dass AfDler zwar immer den ÖR als “linksgrünversifft” bezeichnen, er dir aber zu “rechts” ist.

Nein, da liegt ein Missverständnis vor. Ich wollte damit nicht zum Ausdruck bringen, dass der ÖR mir persönlich zu rechts sei, sondern wollte darauf hinaus, dass der ÖR bzw. die Entscheider und Gestalter und vielen Fällen konservativ besetzt sind. Beispielsweise sind die evangelischen und katholische Kirche in den Rundfunkräten vertreten, aber anderen Religionsgemeinschaften nur spärlich, von Atheisten ganz zu schweigen. Auch haben queere Menschen nur in einer Handvoll der Räte eine Vertretung und trotz der eigentlichen staatsferne des ÖR findet man beispielsweise im ZDF-Fernsehrat aktuell eine aktive Bundesministerin, zwei aktive Landesminister, neun aktive Staatssekretäre und -minister, ein Mitglied des Bundestages sowie eine Regierungssprecherin.

Faktenbasiert müsste doch eine progressive Partei wie die Linke ein Anheben des Renteneintrittsalters fordern, um den Entwicklungen der Lebenserwartungen gerecht zu werden.

Nein. Reine Lebenserwartung ist nicht der einzige Faktor, der in die Bestimmung des Rentenalters einfließen darf. Die erhöhte Lebenserwartung ist ja schließlich nicht darauf zurückzuführen, dass wir länger gesund und leistungsfähig sind, sondern dass wir mit den gesundheitlichen Problemen, die das Altern mitsichbringt, besser umgehen können.

Oder nimm das Fukushima-Beispiel. Nüchtern faktenbasiert hätte man zu dem Schluss kommen müssen, dass sich aus dem Unglück für die deutschen Meiler kein Handlungsbedarf ergibt.

Auch hier gibt es wieder mehr Themen, als du mit einbeziehst. Vermeintliche Reaktorsicherheit war der Grund, aus dem der Ausstieg 2011 beschloss wurde, bereits es gibt noch andere Gründe, die gegen Kernkraft sprechen.

Wenn du jedoch nach Südamerika schaust

Warum sollte ich das tun, wenn wir über deutsche Politik und Medienlandschaft reden? Wenn wir von dort etwas lernen können, das uns hier weiterbringt, okay. Aber „da gibts Linkspopulismus und lügende linke Politiker“ ist doch für die deutsche Diskussion völlig irrelevant. Hierzulande sind Linke und Grüne mit gewaltigem Abstand am wenigsten in Skandale verwickelt und werden mit Abstand am wenigsten durch Faktenchecks widerlegt.

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Beispielsweise sind die evangelischen und katholische Kirche in den Rundfunkräten vertreten, aber anderen Religionsgemeinschaften nur spärlich, von Atheisten ganz zu schweigen.

Das ist halt aber auch wieder so eine Frage des Blickwinkels. Aus der Sicht des jungen Atheisten in Connewitz sind das selbst bei den Protestanten alles reaktionäre Popen. Aus der Sicht des alten Erzkatholiken im bayrischen Wald sind selbst die katholischen Bischöfe alles weichgespülte Flaschen, spätestens seit die sich vor knapp einem Jahr gegen Rechtsextremismus und -populismus ausgesprochen haben. Von Protestanten würde der gar nicht erst anfangen. :) Aber ja, den Punkt der mangelnden Abbildung des gesellschaftlichen Querschnitts sehe ich definitiv auch, zumal der eigentlich explizit gefordert ist. Da gäbe es durchaus ein paar alte Zöpfe abzuschneiden!

Die erhöhte Lebenserwartung ist ja schließlich nicht darauf zurückzuführen, dass wir länger gesund und leistungsfähig sind

Sicher, dass wir heute nicht mit 65 besser (iSv gesünder und leistungsfähiger) dastehen als noch 1970? Hast du dazu Zahlen? Unabhängig davon führt die höhere Lebenserwartung zu längerem individuellen Bezug von Rentenzahlungen und folglich zu höheren Ausgaben. Da sogar eine Senkung des Renteneintrittsalters zu fordern, scheint mir nicht sehr faktenbasiert, auch wenn ich natürlich verstehen kann, warum sie diese Forderung erheben.

Auch hier gibt es wieder mehr Themen, als du mit einbeziehst.

Würdest du wirklich bestreiten, dass es der gesellschaftliche Ruck nach dem Unglück war, der hierzulande den Wind hat drehen lassen?

Warum sollte ich das tun, wenn wir über deutsche Politik und Medienlandschaft reden?

Weil ich dich so verstanden hatte, dass Populismus überhaupt primär mit rechten Meinungen betrieben wird. Wenn es dir dabei aber nur um Deutschland geht, bleibt halt der Punkt, dass linke Politik hier einfach insgesamt so dermaßen unpopulär ist (die größte “echt linke” Partei bei 4%!) und dadurch per se schon ein ziemliches Schattendasein fristet.

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