Schon wieder neue Erkenntnisse übers Homeoffice? Langweilig! Kann die privilegierte Minderheit der Wissensarbeiterinnen mal bitte aufhören, sich um sich selbst zu drehen?

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Homeoffice: Nichts als elitäre Beschäftigungstherapie

Luisa Jacobs11. Juli 2023, 18:07 Uhr

Homeoffice: Katze kraulend ein bisschen arbeiten? Die Debatte über die Produktivität im Homeoffice nimmt kein Ende – und nervt gewaltig.

Das Thema Homeoffice wird behandelt, als ginge es um ein großes medizinisches Rätsel, an dem sich Wissenschaftler die Zähne ausbeißen, so was vom Format Coronavirus. Als hinge unsere Gesundheit, oder zumindest unser Wohlstand, davon ab, fragen sich Forschende und Journalistinnen alle paar Wochen wieder: Sind die Leute zu Hause wirklich produktiver? Und wenn ja, um wie viel Prozent?

Antworten auf diese Fragen hat man in den vergangenen drei Jahren nicht nur schon etliche Male gelesen. Sie sind auch so erwartbar wie für die Gesellschaft irrelevant. Hier dreht sich eine elitäre Minderheit von Wissensarbeitern um sich selbst.

Gerade konnte man die neuesten Entwicklungen der Debatte im Economist nachlesen: Menschen im Homeoffice sind doch nicht produktiver, heißt es da. Zwei Harvard-Autorinnen kamen zu neuen Schlüssen: Angestellte schaffen von zu Hause vier Prozent weniger Kundengespräche statt – wie bisher angenommen – acht Prozent mehr. Auch andere renommierte Wissenschaftler revidieren ihre Forschungsergebnisse: Hier ein paar Prozent mehr, da ein paar Prozent weniger.

Und heute, news just in, meldete das Statistische Bundesamt: Auch nach dem Ende der Pandemie arbeiteten im vergangenen Jahr knapp ein Viertel aller Erwerbstätigen zumindest gelegentlich von zu Hause. Und, Überraschung: Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit hat sich der Anteil der Menschen im Homeoffice nahezu verdoppelt.

Klar, mehr Leute arbeiten nun von zu Hause als vor der Pandemie. Und, ja, leider sind sie dabei nicht ganz so produktiv wie am Anfang angenommen, weil sie zwischen Kundencall und Teammeeting die Wäsche waschen, die Supermarkt-Lieferung entgegennehmen oder mit Mama telefonieren. Der eine Angestellte steht während der Arbeitszeit auf dem Spielplatz, die andere beantwortet auch spätabends noch E-Mails. Produktivitätstechnisch ist das Homeoffice eine Mogelpackung, für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist es trotzdem wichtig.

Ohne Erzieherinnen auch kein Homeoffice

Für diese Erkenntnis braucht es keine weiteren Studien. Ob Callcenter-Mitarbeitende nun zwei Prozent mehr oder weniger produktiv sind, wenn sie im Homeoffice arbeiten, interessiert allerhöchstens ihren Chef. Und selbst den überraschen diese Nachrichten nicht mehr. Viele Vorgesetzte haben längst Konsequenzen gezogen. Ihre Teams arbeiten jetzt hybrid. Und bevor gleich die nächste Studie über das richtige Mischverhältnis hybriden Arbeitens in Auftrag gegeben wird: Auch die Frage, ob nun zwei Tage im Büro und drei Tage zu Hause besser sind oder andersherum, ist gesellschaftlich gesehen relativ egal.

Viel relevanter ist eine andere Zahl in den Ergebnissen des Statistischen Bundesamts – auch wenn man sie in den Debatten gerne ignoriert: 24,2 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiten zumindest gelegentlich von zu Hause. Das heißt im Umkehrschluss: Rund drei Viertel aller Erwerbstätigen arbeiten eben gar nicht von zu Hause, vermutlich zum großen Teil, weil es in ihren Berufen nicht geht. Ärztinnen, Pfleger, Bauarbeiter oder Verkäuferinnen haben nicht den Luxus, sich zu überlegen, ob sie heute mal Homeoffice machen, weil es draußen regnet oder das Kind früher aus der Kita abgeholt werden muss. Sie sind es aber, die diese Gesellschaft zusammenhalten – und über deren Arbeitsbedingungen man sich Gedanken machen sollte.

Es gibt also viel wichtigere Fragen als die, wie produktiv und zufrieden ein Wissensarbeiter vor seinem Laptop sitzt. Etwa: Wie kann man den Schichtbetrieb von Pflegerinnen so gestalten, dass sie nicht mit Burn-out ausfallen oder hinschmeißen, weil sie diesen Beruf nicht mehr schaffen? Oder: Wie können Ärzte künstliche Sprachprogramme so nutzen, dass sie ihnen lästige Administration abnehmen und so mehr Zeit für Patienten bleibt?

Die meisten Fachkräfte fehlen in sozialen Berufen. Aber auch die Stellen von Handwerkern sind viel zu oft unbesetzt – und das wird gerade für diejenigen, die gerne von zu Hause arbeiten, ein riesiges Problem. Ohne Erzieherinnen, die einem die Kinder abnehmen, und ohne Handwerker, die einem die kaputte Heizung reparieren, gibt es nun mal kein Homeoffice.

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